Das Chancenaufenthaltsrecht (§ 104c AufenthG) gibt langjährig geduldeten Ausländerinnen und Ausländern die Möglichkeit, ihren Aufenthalt zu legalisieren – unter der Voraussetzung, dass sie innerhalb von 18 Monaten bestimmte Integrationsleistungen nachweisen. Doch was passiert, wenn die Ausländerbehörde ihrer Informationspflicht nicht ordnungsgemäß nachkommt und dadurch die Erfüllung dieser Voraussetzungen scheitert? Ein aktueller Fall vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (BayVGH; https://oj.is/2515541) liefert eine Antwort.
Der Fall im Überblick
Eine Antragstellerin hatte eine Aufenthaltserlaubnis nach dem Chancenaufenthaltsrecht erhalten. Sie wollte diesen Status nach Ablauf in eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG überführen. Dafür sind u.a. Deutschkenntnisse auf dem Niveau A2 sowie Grundkenntnisse über die deutsche Gesellschaft und Rechtsordnung erforderlich – was durch ein Sprachzertifikat und den Test „Leben in Deutschland“ nachgewiesen werden muss.
Die zuständige Ausländerbehörde hatte zwar ein Merkblatt mit allgemeinen Informationen ausgehändigt, erwähnte darin aber nicht konkret, dass ein A2-Sprachzertifikat und der „Leben-in-Deutschland“-Test erforderlich sind. Erst mehr als ein Jahr später wurde dies im Rahmen eines Anhörungsschreibens klargestellt – zu spät, um die Voraussetzungen fristgerecht zu erfüllen. Die Antragstellerin stellte deshalb einen Antrag auf Duldung, der zunächst abgelehnt wurde. In zweiter Instanz hatte sie jedoch Erfolg.
Was hat das Gericht entschieden?
Der BayVGH stellte fest, dass die Ausländerbehörde ihre Hinweispflichten nach § 104c Abs. 4 AufenthG verletzt hat. Das verwendete Merkblatt sei nicht ausreichend konkret gewesen. Es fehlten klare Angaben dazu, welche Nachweise konkret vorzulegen sind – insbesondere die Pflicht zum Sprachzertifikat auf A2-Niveau und zum „Leben-in-Deutschland“-Test.
Da die Antragstellerin ohne diesen Hinweis keine realistische Chance hatte, rechtzeitig alle Anforderungen zu erfüllen, hat das Gericht ihr eine sogenannte Ermessensduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG zugesprochen – für die Dauer von bis zu 18 Monaten. Diese Duldung stellt sicher, dass die Betroffene die Möglichkeit erhält, die versäumten Nachweise nachzuholen und doch noch in eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25b wechseln zu können.
Warum ist dieses Urteil wichtig?
Das Urteil ist von großer Bedeutung, weil es deutlich macht, dass unzureichende behördliche Informationen nicht zu Lasten der Betroffenen gehen dürfen. Die gesetzliche Hinweispflicht dient nicht nur der allgemeinen Orientierung, sondern muss konkrete Handlungspflichten benennen – und zwar so, dass sie auch für juristische Laien verständlich und umsetzbar sind.
Das Gericht stellte klar: Es reicht nicht, wenn ein Merkblatt allgemeine Hinweise enthält wie „Es wird dringend geraten, Sprachkenntnisse zu erwerben“. Solche Aussagen müssen präzisiert werden – beispielsweise mit dem Hinweis, dass ein anerkanntes Zertifikat auf dem Sprachniveau A2 erforderlich ist.
Was bedeutet das für Betroffene?
Wenn Sie eine Aufenthaltserlaubnis nach dem Chancenaufenthaltsrecht erhalten haben oder beantragen wollen, ist es essenziell, sich rechtzeitig über alle Voraussetzungen zu informieren – auch wenn die Behörde Sie nicht vollständig aufklärt. Sollten Sie feststellen, dass Ihnen entscheidende Informationen nicht oder zu spät mitgeteilt wurden, kann in bestimmten Fällen – wie hier – eine Duldung zum Ausgleich in Betracht kommen.
Fazit
Das Urteil stärkt die Rechte von Ausländerinnen und Ausländern, die auf ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht in Deutschland hinarbeiten. Es mahnt die Behörden zur Sorgfalt und Transparenz und zeigt gleichzeitig auf, dass ein Versäumnis der Verwaltung nicht folgenlos bleiben darf. Wer unzureichend informiert wurde, hat unter Umständen Anspruch auf eine verlängernde Duldung, um seine Chancen nachzuholen.
Sie haben Fragen zur Duldung, zum Chancenaufenthaltsrecht oder zu Ihren Aufenthaltsperspektiven?
Kontaktieren Sie unsere Kanzlei – wir beraten Sie kompetent, verständlich und lösungsorientiert. Gemeinsam finden wir einen Weg.